Das Filmforum der HBK präsentiert im Sommersemester 2021:

   

 

Montag | 28.06.21 | 19:00 h

Organisation zur Umwandlung des Kinos - Geistzeit

(präsentiert von Jan Korthäuer, Enrico Viets, Klaus Weingarten)

Der Fim ‚Geistzeit‘, der das Medium Film selbst zum Thema hat, wurde im Umfeld der Filmklasse der HBK zwischen 2001 und 2012 als Kollektivfilm verwirklicht. Der Film beschreibt „eine Art kognitiven Prozess, der wie eine Genese dargestellt wird“: ein Kind, ein Erwachsener und ein Weiser begeben sich auf eine Reise der Selbstwandlung durch mehrere Ebenen des Bewusstseins. - „Da der filmische Entstehungsrozess in einer Arbeitsgruppe stattgefunden hat, ist der Film das Ergebnis von vielen Jahren Arbeit und zeigt trotzdem in der formalen Ausführung eine beispielhafte Koinzidenz, die keine klärende Hermeneutik braucht.“ (Filmmagazin ‚Cinepaxy’, Mailand, 2017)

 

     
   

 

Organisation zur Umwandlung des Kinos - Geistzeit
93 min | 2002-2012 | digifile (16mm) | col | stereo | OVde | DE



Die Organisation zur Umwandlung des Kinos (Hannover) wurde 2010 von Alumni der Filmklasse als Verein gegründet mit dem Zweck der „Förderung und Verbreitung geistig wertvoller Filme“. Die Organisation betreibt die Filmwerkstatt ‚Sector 16‘, die sich dem praktischen Erhalt des Zelluloidfilms widmet und insgesamt Konzepte zur Unterstützung des geistig inspirierten Films entwickelt.

[ www.organisationzurumwandlungdeskinos.de ]

Ein Kollektivfilm von Hilmi Baykal, Katja Beneke, Peter Beyer, Abel Boukich, Nina Ehlers, Yingmei Duan, Hauke Gerdes, Peter Hoffmann, Martha Jurksaitis, Konstantin Kunst, Thomas Köhling, Jan Korthäuer, Hannes Popp, Joachim Ruhe, Lamin Sanneh, Tom Schön, Anton Solovejtchik, Karen Thiele, Michael Unger, Enrico Viets, Rafael Vogel, Class Wiechmann, Klaus Weingarten, Andreas Zech, Fei Zhou



Die Anfänge (2008)

„Vor fünf Jahren begann eine Gruppe von Filmstudenten der Kunsthochschule, trotz der Vorherrschaft von Videoproduktionen, wieder auf Filmmaterial im 16mm-Format zu arbeiten. Sie nutzten die Technik gegen die Richtung des Uhrzeigers. Für sie wurde die Erfahrung im Umgang mit dem Filmmaterial – der »prima materia« – noch einmal ein wichtiger Aspekt im künstlerischen Arbeitsprozess. Einige dieser Künstler beschäftigen sich – angeregt durch die amerikanischen Pioniere des experimentellen Films und durch das Studium der Schriften von R. A. Wilson und T. Leary – mit den Schaltkreisen des Nervensystems. Durch das gemeinsame Studium entstand vage eine Filmidee und – sehr manifest – die praktische Vorstellung einer auf den Film bezogenen Arbeit im Kollektiv. Seit etwa drei Jahren treffen sich bis zu 15 Künstler des Filmkollektivs zum regelmäßigen Projektstudium. Dabei arbeiten sie weitgehend ohne Hierarchie, dafür hyperaktiv, ideologiefern und pragmatisch. Gemeinsame Recherchen und Exkursionen, Exposé und Treatment, Kalkulation und Förderanträge, vor allem aber unermüdliche Filmskizzen auf 16mm-Material waren bislang die wichtigsten Arbeitsschritte.

Dabei erleben sie die ursprünglichen Freuden gemeinsamen kreativen Arbeitens, die Befreiung aus dem Ghetto von Entfremdung und Vereinzelung. An guten Tagen entsteht eine Situation, die Ängste und Depressionen lösen kann, die allen gleiche Möglichkeiten optimaler Entfaltung bietet. Einige Neurophysiologen behaupten gar, dass die Tendenz zur Kooperation in der Gehirnstruktur der Menschen verwurzelt sei. Sie erklärt sich genetisch aus der Tatsache, dass diese Tendenz eine notwendige Bedingung sei für das Überleben der Art. Die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt aber beruht nicht auf Anziehung und Attraktion, sondern auf der Verfolgung des je eigenen Interesses gegen die Interessen aller anderen. Wir sehen das apokalyptische Bild einer Welt, in der sich immer mehr Menschen von der Gesellschaft abwenden und in den Egoismus flüchten. Der neoliberale Wahlspruch der globalen Leitkultur lautet: „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“. Unsere Gesellschaft, die bereits im Grundschulunterricht durch den erzwungenen Wettkampf Gewinner und Verlierer hervorbringt, produziert von Anfang an den isolierten Konkurrenten. Menschen, Künstler zumal, die sich vor allem an der Maximierung des eigenen Profits und deshalb am Konkurrenzdenken orientieren, werden auch ein Menschenbild vertreten, bei dem der eine Mensch dem anderen »von Natur aus« Feind ist – homo homini lupus. In diesem Klima von Egoismus und Gier wird der praktische Hinweis, dass es andere Charakterorientierungen gibt, welche die Entfaltung und das Wachstum der psychischen und kreativen Eigenkräfte des Menschen fördern, eher Neid hervorrufen und Zorn, als beispielhaft erscheinen.

Als wir – neun Frauen und Männer – zwischen 1968 und 1972 unsere im Kollektiv »Büttenbender – Schmidt – Winkelmann« hergestellten Filme auf Festivals präsentierten, schlug uns häufig blanker Hass entgegen; eben jener isolierten Konkurrenten zorniger Neid, der sich eindeutig nicht gegen unsere Produkte richtete, vielmehr gegen die Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies, obgleich in der Folge der antiautoritären Bewegung von 68 »Solidarität« einen häufig postulierten Wert darstellte. Nun aber, im Turbo-Kapitalismus der Jahrtausendwende, hat die Produktion von Gewinnern und Verlierern erst Recht an Rasanz und Verbreitung zugenommen. „Wir haben noch keinen Begriff für diesen Faschismus des Profits; etwas wirklich Neues scheint es, wenn der Massenmarkt eine viel stärkere Kontrolle ausübt, als die Zensur sie je hatte.“ (George Steiner) Gegen diese Tendenzen und trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten ist es notwendig, nichtautoritäre, kollektive Formen der Aneignung von Fähigkeiten und Kenntnissen aufzugreifen und weiter zu entwickeln zugunsten einer menschlichen Gesellschaft, in der der Mensch Vorrang vor dem Kapital hat, in der Vernunft regiert und nicht Macht. Nützlich kann der Künstler der Gesellschaft nur sein als einer (jemand), der sich nicht benutzen lässt. Beispielhaft verletzt er die Norm durch nichtnormative Arbeit. Er kann die Gesellschaft davor bewahren, in die Irre zu gehen, indem er, wie Roland Barthes einmal schrieb, als Teil einer ausgegrenzten Minderheit „ ...bindet was die Gesellschaft nicht zu sein wagt, er repräsentiert und beschwört ihre Risiken.“

Prof. Gerhard Büttenbender (2008)

 

[ Abbildung oben: aus dem Film „Geistzeit“ von Organisation zur Umwandlung des Kinos ]

 

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