Das Filmforum der HBK präsentiert im Wintersemester 2020/2021:

   

 

Montag | 23.11.20 | 19:00 h

Kurzfilmprogramm (Russland): Nekrorealismus

(kuratiert und präsentiert von Thomas Bartels)

Das Programm präsentiert Filme von Mitgliedern der Künstlergruppe der „Nekrorealisten“, die mit schwarzem, anarchischem Humor ab Mitte der 1980er Jahre in Leningrad (seit 1991: St. Petersburg) aktiv waren. Der letzte Film im Programm zählt nicht zu den „Nekrorealisten“ und zeigt eine entsprechend andere Perspektive: eine vom Futurismus inspirierte Aufbruchsstimmung. – Russische Film Avantgarde der 1980er und 90er Jahre: kurz vor, während und nach der Perestroika. Filme, die eine globale Zeitenwende künstlerisch reflektieren.

 

     
   

 

Filmprogramm (64 min):

Evgeny Yufit - Lesorub (Woodcutter)
8:14 min | 1985 | digifile (16mm) | bw | sound | OVru (UTen) | SU

Evgeny Yufit - Рыцари поднебесья (Knights of the skies)
18:28 min | 1989 | digifile (35mm) | bw | sound | OVru (UTen) | SU

Evgeny Kondatyev - Путешествие (Die Reise)
3:00 min | 1993 | digifile (16mm) | col | sound | OVru | RU

Evgeny Kondatyev - Джамбо (Djambo)
4:07 min | 1993 | digifile (16mm) | col | sound | OVru | SU

Dmitry Frolov - Psycho Attack over Soviets
3:00 min | 1991 | digifile (16mm) | col | sound | OV (Musikvideo) | RU

Dmitry Frolov - The Daddy's Meat
3:02 min | 2004 | digifile (16mm) | bw | sound | OV (Musikvideo) | RU

Irina Evteeva – Лошадь, скрипка и немножко нервно
(The Horse, the Violin and a Little Bit Nervous)
26:00 min | 1991 | digifile (35mm) | col | sound | OVru | RU



Nekrorealismus
(Russische Film Avantgarde kurz vor, während und nach der Perestroika)

Filme von Mitgliedern der Künstlergruppe „Nekrorealisten“, die ab Mitte der 1980er Jahre in St. Petersburg aktiv waren. Ein Rückblick auf den Russischer Underground der 1980er und 90er Jahre.

Wer heute experimentell mit 16mm Filmmaterial arbeitet wird früher oder später auf zwei Russische Apparate stoßen, die seit vielen Jahren weltweit beliebt sind: die Federwerks-Kamera KRASNOGORSK und der LOMO-TANK zur Filmentwicklung. Doch was wurde in Russland mit diesen Geräten produziert?

Mitte der 1980er Jahre formierte sich im Untergrund von St. Petersburg die Künstlergruppe „Nekrorealisten“. Sie malten, machten Performances und drehten kurze Filme. Meist waren dies absurde anarchistische Aktionen mit Toten, die vor Überlebenden fliehen, Patienten, die ihre Ärzte verprügeln, lebendig Begrabene, die mit kochendem Wasser überschüttet werden: Gewalt, Leichen, Schnee und Ruinen im Zeitraffer aufgenommen verbinden sich Slapstick und Splatter. Der Begriff „Nekrorealismus“ persifliert den Sozialistischen Realismus und weist bereits auf den Verfall der Soviet-Union hin.

Evgeny Yufit ist der produktive Kopf dieses losen Zusammenschlusses. 1984 gründete er das erste unabhängige Film-Studio «Mzhalalafilm» und drehte u.a. „Woodcutter“ (1985). Am staatliche Filmstudio „Lenfilm“ richtete im Laufe der Perestroika der Regisseur Alexander Sokurov („Russian Arc“, 2002) eine Filmschule ein. Yufit wurde einer der nur 5 Studierenden und bekam die Gelegenheit seinen ersten Film auf 35mm zu drehen: „Knights of the Skies“ (1989).

Evgeny Kondatyev gehörte anfangs zu den Nekrorealisten, trennte sich aber später von der Gruppe. Er ist Maler und hat seine Filme bewußt einfach aufgenommen, in der Kamera geschnitten oder aus gefundenem Material montiert, um sie dann durch Kratzen und Übermalung zu bearbeiten.

Dmitry Frolov ist ein Russischer Avantgarde Filmemacher der Post-Perestroika Zeit. Er dreht experimentelle Filme und Musik-Videos am liebsten auf altem 16mm Material des Ukrainischen Herstellers „Svema“ (darauf drehte auch Nicolas Rey „Les Soviets plus l’électricité“, 2001, der im Filmforum 2018 lief). Dieser Film ist für seine schwankende Qualität bekannt. Für Frolov ist es daher ein lebendiges Material das sogar unbewegte Dinge zum Leben erweckt.

Der letzte Film des Programms aus derselben Zeit zeigt eine andere Perspektive: Irina Evteeva gehörte nicht zu den Nekrorealisten. Sie produzierte ihren 35mm Film in den staatlichen Lenfilmstudios. Aufwendig und trickreich blickt sie zurück in die Zukunft und verweist auf die Aufbruchsstimmung des Futurismus.
(Thomas Bartels)


 

[ Abbildung oben: aus dem Film ‚Lesorub‘ (1985) von Evgeny Yufit ]

 

Übersicht Wintersemester 2020/2021

 

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